Ein Tecknauer baute an der neugotischen Kirche
10.01.2019 Kilchberg150 Jahre sind seit dem Kirchenneubau vergangen
Die Geschichte über den Bau der neuen Kirche in Kilchberg ist spannend. Dabei engagierten sich neben den Handwerkern der beteiligten Gemeinden auch die meisten Einwohner und Bürger. Nach kurzer Bauzeit wurde der Kirchenbau ...
150 Jahre sind seit dem Kirchenneubau vergangen
Die Geschichte über den Bau der neuen Kirche in Kilchberg ist spannend. Dabei engagierten sich neben den Handwerkern der beteiligten Gemeinden auch die meisten Einwohner und Bürger. Nach kurzer Bauzeit wurde der Kirchenbau vollendet.
Heinz Spinnler
Die «Volksstimme» hat in der Ausgabe vom 13. September 2018 über den Kirchenbau berichtet. Ein zeitgenössischer Bericht und Dokumente aus dem Staatsarchiv beleuchten ergänzend, wie der Bau aus Sicht der damaligen Zeit abgelaufen ist.
Es war im Frühjahr 1866, als Rudolf Zwilchenbart, der Sohn des Zwilchenbarts, der bis zu seinem Tod im Jahr 1799 als Pfarrer in Kilchberg diente, den Pfingstgottesdienst besuchte. 50 Jahre zuvor war Zwilchenbart nach Liverpool in England ausgewandert, wo er als Kaufmann sein Einkommen bestritt. Bei seinem Besuch in der bescheidenen Kirche sei ihm der Gedanke gekommen, er könne, da der Raum zu klein sei, der Gemeinde dienen und das Andenken seines Vaters ehren, wenn er Hand zu einer Erweiterung der Kirche böte.
Der damals amtierende Pfarrer Linder teilte die Angelegenheit seinem Freund Martin Birmann in Liestal mit. Birmann konnte dem Gedanken einer Erweiterung der Kirche nicht zustimmen, zu klein und baufällig war der bestehende Bau. Der Turm könnte zum Teil stehen bleiben und das Kirchenschiff müsste neu erbaut werden. Um die Kosten möglichst tief zu halten, könne der Bau mit einer Holzkonstruktion ausgeführt werden. Birmann veranschlagte dafür den Betrag von 10 000 Franken, das Holz würde durch die Gemeinden geliefert und vieles müsste in Fronarbeit ausgeführt werden. Für die restlichen Arbeiten veranschlagte er 25 000 Franken – dieser Betrag müsste in bar von anderer Seite kommen. Ebenso wären für ein neues Kirchengeläute und für die Fenster noch weitere Mittel zu beschaffen.
Am 2. Juli 1866 wurde der in Bad Schinznach weilende Zwilchenbart informiert. Nur 3 Wochen später reiste Zwilchenbart nach Liestal, wo ein Vertrag über die Finanzierung des Gotteshauses angefertigt wurde. Zwilchenbart verpflichtete sich zur Bereitstellung der 25 000 Franken für den Neubau.
Für die Planung wurde Paul Reber, ein erfahrener Architekt aus Basel, zugezogen. Dieser hatte bereits in Birsfelden eine neue Kirche im ähnlichen Stil erbaut. Nachdem auch Zwilchenbart die Pläne für gut befunden hatte, konnten die Bauarbeiten öffentlich ausgeschrieben werden. Für die Maurer- und Steinhauerarbeiten erhielt der Tecknauer Johann Sutter den Zuschlag, die Zimmerarbeiten wurden an den bewährten Zimmermann Peter Gysin aus Wenslingen vergeben.
Letzter Gottesdienst
Am 23. März 1867 wurde der letzte Gottesdienst in der alten Kirche abgehalten. Noch einmal erklangen die Glocken, die so oft die Gemeinde zu Freud und Leid zusammengerufen hatten. Bereits am nächsten Tag wurde mit dem Abbruch der alten Kirche begonnen. Am Abend des 28. März waren von der alten Kirche nur noch der Turm und ein kleiner Schutthaufen zu sehen. Emil Grieder kletterte auf die höchste Spitze und holte unter dem Jubel seiner Schulkameraden den knarrenden Wetterhahn herunter. Der Dachstuhl kam auf das Hofgut Mapprach, Türen, Bänke und Fenster wurden für insgesamt 617 Franken versteigert – und blieben meistens als Andenken in der Gemeinde. Als die Glocken vom Turm herniedergelassen wurden, riss bei der grösseren Glocke das Seil und sie zerfiel schmetternd auf einer Steinplatte in Stücke. Die Glocke wog mehr als 4 Zentner und war im Jahr 1725 von Hans Heinrich Weitnauer in Basel gegossen worden.
Die kleinere Glocke wurde an einem mächtigen Birnbaum hinter der Kirche angebracht, am Stamm eines zweiten Baumes die Kanzel. Hier hielt die Gemeinde bei schönem Wetter ihren Gottesdienst; Balkenreihen bildeten die Sitze, das Laub der Bäume das Dach.
Sammlung für neue Glocken
Die Baukommission leitete ein Sponsoring für die Anschaffung der neuen Glocken ein. Zum einen wurden verschiedene Personen angeschrieben; aus den Gemeinden kamen viele private Spenden, sodass die Glocken umgehend bestellt werden konnten. Die drei neuen Glocken wurden beim Glockengiesser Keller in Zürich bestellt und kosteten 5360 Franken, wobei das Metall der alten Glocken mit 666 Franken vergütet wurde.
Mit dem Neubau der Kirche war auch die Verlegung des Friedhofs verbunden. Dies war schon seit Jahren ein Anliegen der Kirchgemeinde. Die Verlegung und Erweiterung Richtung Eital wurde geprüft und trotz der Einsprache eines Landeigentümers – dem reichsten Mann der Gemeinde – konnte das Anliegen zur Ausführung kommen.
Probleme beim Bau
Maurermeister Sutter aus Tecknau stand in grosser ökonomischer Bedrängnis und verstand auch seine Aufgabe nicht ganz. Die Folge davon war, dass er nur völlig unzuverlässige Arbeiter einstellen konnte. Die Baukommission musste eingreifen, ordnen und auf Rechnung des Unternehmers einen Bauführer einstellen.
Politische Meinungsverschiedenheiten führten schon damals zu Problemen. So hat die Kommission für Kirchen- und Schulgut für die Bestuhlung der Kirche statt der 1600 Franken nur 410 Franken zugesagt.
Am Sonntag, 27. Juli 1867, war das Aufrichtefest. Am Nachmittag sammelte sich die ganze Bevölkerung, inklusive der Dorfmusiken. Von Rünenberg wurde ein hochragender Maibaum, reich geschmückt mit Bändern – den Gaben von baslerischen Fabrikanten – aufgestellt. Pfarrer Lindner hielt eine herzliche Ansprache.
Der Sohn des Zimmermanns Gysin sprach den üblichen Zimmerspruch und schloss in althergebrachter Weise mit einem Lebehoch auf alle, die am Bau mitgeholfen haben. Auch der Architekt sprach einige Worte zu den Anwesenden. Nach einem Lied des Männerchors sammelten sich alle auf dem Platz des neuen Gotteshauses und ein jeder empfing eine Flasche Wein und ein Brot. Als nach einer Weile eine Gesellschaft nach der anderen den Platz verlassen hatte, sah man noch hier einen Vater mit seinen Kindern und dort einen Mann mit seiner Frau den Wein teilen. Kleinere Gruppen blieben verstreut unter den grossen Bäumen sitzen und sangen oder sahen in die von der Abendsonne beschienene schöne Gegend hinaus.
Einweihung der Kirche
Am 5. Juli 1868 wurde die Kirche eingeweiht. Es war ein warmer Sommertag. Der Platz vor der Kirche wurde unter der Leitung des Architekten Reber und durch freiwillig helfende Gemeindemitglieder in eine bewachsene Anlage mit einer breiten Treppe umgewandelt. Um 9 Uhr klang das Geläute und die Gäste strömten von allen Seiten herbei. Aus Rünenberg und Zeglingen zogen, die Musik an der Spitze, sämtliche Schulkinder, hernach die Erwachsenen in geschlossenen Reihen heran.
Ein kräftiger Gesang, ohne Orgelbegleitung, leitete den Gottesdienst ein. Pfarrer Lindner hielt eine herzliche Ansprache an die Kinder. Martin Birmann ging auf die Geschichte der Kirche ein und würdigte die Tat des Zwilchenbarts. Am Nachmittag trafen viele Gäste aus der Ferne im Dorf ein. Um 13 Uhr wurde ein Gottesdienst abgehalten. Dabei kamen viele am Bau Beteiligte zu Wort. Es wurde gebetet und Lieder wurden gesungen.
Dorfpfarrer als Rechnungsführer
Dem damals in der Kirchgemeinde amtierenden Pfarrer Emanuel Lindner wurden die administrativen Aufgaben übertragen. Im oblag die Bezahlung der Rechnungen von Handwerkern und Materiallieferanten; alle Forderungen wurden mit Bargeld vor Ort beglichen. Sämtliche Belege (Offerten, Rechnungen, Frachtbriefe usw.), wurden sauber nummeriert und ordentlich abgelegt und können heute noch im Staatsarchiv in Liestal eingesehen werden. Sogar der Betrag für die Kirchenglocken über 4200.– Franken wurde auf der Rechnung als «bar erhalten» verbucht.
Der Wein, der am Aufrichtfest getrunken wurde, war «1863er Pratteler»; davon wurden über 344 Maas konsumiert (4 Fässer), verrechnet wurden für den Wein Fr. 206.40. Die farbige Lithografie, welche die neue Kirche zeigt, wurde an alle Haushaltungen verteilt. Der Lithograf Völlmin aus Liestal hat davon 900 Exemplare gedruckt, die mit Fr. 137.50 berechnet wurden.
Ebenfalls sind viele Briefe des Zwilchenbarts aus England, Korrespondenzen von Martin Birmann und Pfarrer Lindner vorhanden.
Andere Zeiten – andere Sitten, aber interessant allemal.