HERZBLUT - Meins und deins
19.06.2018 Augenschein«Was wünschst du dir zum Geburtstag?», fragen mich meine drei Töchter. Jede von ihnen hat mittlerweile einen Job, lebt ausser Haus und eine ist sogar selbst Mami. Trotzdem sieht mein mütterliches Auge immer noch die kleinen Mädchen vor sich, die mit ihren ...
«Was wünschst du dir zum Geburtstag?», fragen mich meine drei Töchter. Jede von ihnen hat mittlerweile einen Job, lebt ausser Haus und eine ist sogar selbst Mami. Trotzdem sieht mein mütterliches Auge immer noch die kleinen Mädchen vor sich, die mit ihren Patschhändchen einen Zweifränkler festhalten, Taschengeld, das sie für den Geburtstag der Mutter gespart haben. Meine Reaktion ist daher immer dieselbe: «Ihr müsst mir doch nichts kaufen. Ich brauch nichts, ich hab ja euch, meine Süssen.» Sie wissen schon, den üblichen Kram, den Mütter so von sich geben.
Dieses Jahr feiere ich meinen Drallala-Geburtstag. Und meine Kinder bestehen darauf, mir ein Geschenk zu machen. Gut, sage ich, dann möchte ich Wandersocken. Die mit den verstärkten Seiten und den Silberfäden gegen Käsefüsse. Die Dinger kosten etwa 25 Franken! Jedes Mal, wenn ich vor einem der Regale stehe und sie mir ansehe, schockt mich der Preis. 25 Franken für ein Paar Socken, das würde ich nie und nimmer ausgeben. Aber schenken lassen kann ich sie mir ja.
«Socken!», ruft es im Chor. «Mum, du willst zu deinem Drallala-Superduper-Geburtstag doch wirklich nicht nur Socken?»
«Na gut», sage ich, «ihr habt es so gewollt. Dann wünsche ich mir noch die Antifaltencreme aus der Werbung. Die, wo man nach vier Wochen dreissig Jahre jünger aussieht.» Ich würde sie mir selber kaufen, aber beim Anblick des Preisschilds legt sich meine Stirn automatisch in Falten, was den positiven Effekt der Inhaltsstoffe erheblich mindert. Also muss ich sie mir eben schenken lassen.
Und weil aller guten Dinge und meine Töchter ebenfalls drei sind, hier mein dritter Wunsch. «Ich möchte von euch ein Versprechen.» Drei Augenpaare sehen mich erwartungsvoll an. Drei Kuchengabeln halten über der der fast leer gefressenen Tortenplatte aus Hergiswiler Glas inne.
«Ich möchte, dass die Socken und die Faltencreme mir allein gehören. Kein Ausleihen, kein heimliches Ausprobieren, nichts!» Dreimal unverständliches Gemurmel. «Ihr wisst, wovon ich spreche. Eure Geschenke haben die Tendenz, sich heimlich in eure eigenen Wohnungen zu verabschieden. Wo ist zum Beispiel das Bauchtrimmgerät, das ich zum letzten Geburtstag bekam? Wer hat meinen Ladyshaverseidenglattenthaarer? Und was ist aus meinem Rheuma-Schulterwärmer geworden, den ich zur letzten Weihnacht bekam? Ich möchte etwas, das nur mir gehört, mir, mir ganz alleine.»
Drei ahnungslose Gesichter. Dann sagt Tochter 1: «Sicher Mum, aber vorher hätte ich gerne meine Türkiskette zurück. Du weisst schon, die, die du dir ausgeliehen hast, weil sie so gut zu deinen Jeans passt.» «Ja», sagt Tochter 2, «meine Jane-Austen-Bücher hast du bestimmt auch fertig gelesen. Die stehen seit drei Jahren in deinem Regal.» «Und wenn wir gerade dabei sind», sagt Tochter 3, «seit deinem letzten Besuch fehlt in meiner Wohnung eine Tortenplatte aus Hergiswiler-Glas, die verdächtige Ähnlichkeit mit dieser hier hat.»
Yvonne Zollinger, Redaktorin «Volksstimme»