Der deutsche Theologe Eugen Drewermann ist gegen jede Waffengewalt

Für den deutschen Theologen, Schriftsteller und Lehrbeauftragten Eugen Drewermann ist klar: Alle Kriege auf dieser Welt müssen mit friedlichen Mitteln beigelegt werden. Dies gestützt auf die Bergpredigt in der Bibel. Im Ausgleich sei der Friede anzustreben.

André Frauchiger

Herr Drewermann, demnächst erscheint Ihr Buch «Nur durch Frieden bewahren wir uns selbst. Die Bergpredigt als Zeitenwende». Welches sind dessen Kernaussagen?
Eugen Drewermann: Mich stimmt es traurig, zu sehen, dass wir mit dem Frieden in der politischen Realität seit Jahrzehnten keinen Zentimeter vorwärtskommen im Sinne von Jesus, unter den Menschen Frieden zu haben. Nur mit der Bergpredigt lässt sich eine Politik machen, die zum Frieden unter den Menschen führt. Das hat auch schon Mahatma Gandhi gesagt und Leo Tolstoi hat es beschrieben. Frieden ist nur möglich, wenn die Menschen nicht permanent Angst haben vor den Mitmenschen, weil sie sich bedroht fühlen und als Reaktion darauf andere bedrohen.

Wie ist Frieden möglich?
Gut und Böse haben Ursachen. Wir dürfen nicht nur die Symptome bekämpfen. Im Dialog ist der Frieden anzustreben, die Ängste müssen abgebaut werden durch Gespräche. Deeskalation ist das Gebot der Stunde. Glücklich sind die Menschen, die gewaltlos bleiben, sagt Jesus. Es braucht Abrüstung statt Aufrüstung. Der Weg zum Frieden ist der Frieden selber. Jeder Krieg führt letztlich zum nächsten Krieg. Mit der Auferstehung von Jesus glaube ich, dass das Leben stärker ist als der Tod, die Güte stärker als die Gewalt, die Vergebung stärker als die Feindpropaganda. Wir müssen zu friedlichen Menschen werden, also zu dem, wofür wir berufen sind.

Spannen wir den Bogen zum Einmarsch der Russen in die Ukraine: Was sagen Sie dazu?
1989 hätten wir mit Michail Gorbatschow als letztem Präsidenten der Sowjetunion den Frieden in der Hand gehabt. Russland hatte sich aus den besetzten Gebieten Deutschlands zurückgezogen, auch aus dem Baltikum. Den Russen wurde versprochen, die Nato werde nicht nach Osten erweitert. Der damalige amerikanische Aussenminister James Baker und Bundeskanzler Helmut Kohl gaben dieses Versprechen. Und dann gab es doch die Verschiebung der Nato nach Osten. Es gibt meiner Meinung nach keine Sicherheit in Europa ohne Russland. Wir müssen Russland als festen Teil Europas einbeziehen – in Politik, Wirtschaft und Kultur. Im Dialog müssen hierfür friedliche Wege eingeschlagen werden.

Ist die Menschheit aus Ihrer Sicht überhaupt lernfähig?
Wir leben mit den Atomwaffen wie im Steinzeitalter. In Sekunden können die Staaten Millionen von Menschen töten. Das ist moralisch und menschlich unhaltbar. Die Rüstungsausgaben der Grossmächte sind extrem hoch. Und die UNO kann nicht einmal 4 Milliarden für Notleidende in der Dritten Welt und die Flüchtlinge aufbringen. Diese Diskrepanz ist hochgefährlich. Die Bergpredigt spricht hier eine deutliche Sprache – für die Menschen.

Was muss aus Ihrer Sicht Westeuropa dagegen tun?
Es braucht Werte der Menschlichkeit statt der rein kapitalistischen Ziele in Wirtschaft und Politik. Daran können die europäischen Staaten arbeiten. Wir dürfen keine Kriege mehr unterstützen, wenn wir wirklich Frieden wollen. Wie viele Kriegstote wollen wir denn noch hier in Europa? Frieden gibt es durch Verhandlungen und nicht mit Waffen.

Glauben Sie unverdrossen an das Gute im Menschen?
Ich glaube an den Menschen, weil ich an Gott glaube. Ich glaube aber nicht einfach an das Gute im Menschen. Es ist auf jeden Fall gut, dass Menschen in der Regel geliebt werden wollen. Auch deshalb und mithilfe der Bibel finden die Menschen vielleicht doch noch den Weg zum Frieden – auch über Verhandlungen. Die beiden Weltkriege im vergangenen Jahrhundert dürfen sich nie mehr wiederholen. Es darf nicht mehr Millionen Tote geben.

Was muss die Kirche – auch die russische – für den Frieden tun?
Wir müssen das Böse überwinden, inner und ausserhalb der Kirche. Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, hat diese Ostern erklärt, die christlichen Russen sollten für den Frieden beten. Das ist gut, aber auch die Menschen in Westeuropa sollten hierfür beten. Leider höre ich von den Kirchen heute nichts – ausser von Papst Franziskus. Der Papst hat auch gesagt, es gebe keinen gerechten Krieg. Die Menschen sollten auf ihn hören.

Die Angst vor der Zukunft ist zurzeit weit verbreitet, auch wegen der Erfahrungen mit Corona. Was sagen Sie den verängstigten Menschen?
Es geht um Ängste wie zum Beispiel vor einem Atomkrieg oder davor, die Miete nicht mehr bezahlen zu können. Oder keinen Platz mehr im Spital zu haben. Wir haben bei den wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschaft zu wenig Personal und Geld: Bei den Pflegekräften in den Spitälern, in den Kitas, bei den Lehrkräften. Eine säkularisierte Welt ohne Religion und Glauben hilft nicht, gegen die Angst anzugehen und Frieden zu haben und zu stiften. Nur die Religion bietet Trost, mit der Einsicht der Liebe und dem Wissen um den Sinn der Schöpfung. Nur Gott sagt uns, dass wir wichtig sind, dass wir ein gewollter Teil seiner Schöpfung sind. In der Bergpredigt heisst es: «Was Du möchtest, was man Dir tut, das tue Jedem an.» Das müssen wir alle leben.

Welche Hoffnung geben Sie den Menschen mit auf den Weg?
Es geht um die bleibende Hoffnung. Die Botschaft von Ostern bringt die bleibende Hoffnung für uns Menschen. Jesus ist für uns Menschen gestorben – und ist wiedergekommen. Mit Gottes Unterstützung lernen wir, die Welt zu sehen in seiner Liebe. Gott lässt uns im Glauben die Ängste überwinden. Meine feste Zuversicht ist: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Daran glaube ich fest.

Eugen Drewermann wird morgen Mittwoch, 26. April, 19 Uhr, in der Turnhalle der Primarschule Dorf in Sissach zum Thema «Wege zum Frieden mit der Bergpredigt Jesu» referieren.

Zur Person

fra. Eugen Drewermann wurde 1940 geboren. Er stammt aus einer gemischtkonfessionellen Bergmannsfamilie im Ruhrgebiet. Sei Vater war evangelisch, seine Mutter katholisch. Er studierte Philosophie in Münster und Katholische Theologie in Paderborn, wo er heute noch lebt. Seine Priesterweihe erfolgte im Jahr 1966. Er bildete sich weiter in der Neopsychoanalyse und begann mit seiner Lehranalyse.
Drewermann entwickelte sich zu einem sehr kritischen Vertreter der katholischen Kirche. Politisch engagierte er sich als Mitglied der deutschen Friedensbewegung und als Kapitalismus-Kritiker. Als Folge eines Interviews mit dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel», worin er die Jungfrauengeburt als biologische Tatsache angezweifelt hatte, wurde ihm 1991 die Lehrerlaubnis für Dogmatik entzogen. Es folgte kurz darauf zusätzlich ein Predigtverbot. 2005 trat er aus der Kirche aus.
Die Meinungen über Drewermann sind in den deutschen Kirchen sehr unterschiedlich. Seine Vorträge für eine friedliche und gewaltfreie Völkerverständigung werden aber immer mit grossem Interesse verfolgt. Er verfasste zahlreiche Bücher zu Themen des Friedens und der Verständigung unter den christlichen Menschen. Das neueste Buch über die Bergpredigt erscheint im Juni.

«Der Weg zum Frieden ist der Frieden selber»

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