Robert Bösiger moderiert bald sein 100. «Volksstimme»-Nachtcafé – es ist für ihn der Abschluss

Am kommenden Donnerstag findet das 171. «Volksstimme»- Nachtcafé statt. Robert Bösiger, der ehemalige Chefredaktor unserer Zeitung und «Nachtcafé»- Mitbegründer, moderiert den Talk dabei zum 100. und letzten Mal. Gast ist Spitzenkoch Anton Mosimann. Bösiger blickt zurück.

David Thommen

Robert Bösiger, Dein 100. und letztes «Nachtcafé» steht bevor. Wie ist die Gefühlslage?
Robert Bösiger: Ich bin sehr zufrieden, dass ich es auf 100 «Nachtcafés» bringe. Ich hatte über all die Jahre sehr viele spannende Gäste. Sie haben meinen Horizont und hoffentlich auch denjenigen des Publikums erweitert. Jetzt werde ich aber pensioniert und irgendwann ist halt einmal Schluss.

Wie hat das damals alles angefangen?
Der ursprüngliche Impuls dafür kam aus der Redaktion, vermutlich von Kollege Rolf Wirz, der später Chefredaktor der «Volksstimme» wurde. Wir wollten es der Leserschaft exklusiv ermöglichen, einmal in ganz intimem Rahmen mit Menschen in Berührung zu kommen, die man sonst nicht so nah erleben kann.

Gestartet wurde 1998 mit Thomas G. Borer …
… und natürlich seiner Frau Shawne Fielding. Das ist unvergessen. Borer, der zuvor Schweizer Botschafter in Washington war, leitete damals die Task-Force Nachrichtenlose Vermögen und war in den Medien omnipräsent. Das Interesse an ihm war gross. Der Talk fand im vergleichsweise kleinen Raum des KiK – Kultur im Keller – in Sissach statt. Ausweichen konnten die Gäste ins benachbarte TV-Geschäft Maurer, wohin wir den Talk direkt übertrugen. Das «Nachtcafé» hatte damit einen guten Start.

Das KiK als Veranstaltungsort wurde bald zu klein …
Ja. Einmal, als Sänger Baschi zu Gast war, mussten wir sogar mit der ganzen Gästeschar spontan ins grössere Marabu nach Gelterkinden ausweichen. Ohnehin habe ich heute ein etwas mulmiges Gefühl, wenn ich ans KiK zurückdenke. Es war schön und gemütlich dort, doch es war klein und wehe, wenn dort einmal Panik ausgebrochen wäre … Seit vielen Jahren sind wir nun in der Oberen Fabrik in Sissach, ein idealer Ort.

Ursprünglich hatte die damals ziemlich übermütige Redaktion Lust, selber hinter der Bar zu stehen. Die Redaktionsmitglieder traten in «Volksstimme»-farbenen Fliegen an.
Ja, man wollte mit der Leserschaft direkt kommunizieren. Das hat sich aber abgenutzt und die Redaktion wollte das nicht mehr. Es wurde als Zusatzarbeit angeschaut. Schade!

Die ersten Moderatoren waren Rolf Wirz und Du, später auch Jürg Gohl. Ihr alle habt Wurzeln beim Lokalsender «Radio Raurach». Habt ihr ehemaligen «Radiöler», die bei der Zeitung gelandet sind, einfach das Live-Gespräch vermisst?
So kann man das sagen. Rolf Wirz als erster Moderator lag dieses Format unglaublich gut, er war ein Naturtalent. Auch bei uns anderen war die Radioerfahrung bestimmt von Vorteil. Wir alle schwatzen gern …

Was meinte eigentlich der damalige «Volksstimme»-Verleger Hansjakob Schaub zu dieser Idee? Er selber suchte die öffentliche Bühne nie.
Er begrüsste die Idee, sofern ich mich richtig erinnere. Ich konnte ihm glaubhaft machen, dass das «Nachtcafé» gute Werbung für uns als Zeitung ist und dem ganzen Unternehmen ein gutes Image verleiht. Auch alle Leserinnen und Leser, die nicht an die Talks kamen, nahmen wahr, dass die «Volksstimme» etwas Tolles bietet.

Du hast nicht von Anfang an selber moderiert. Erinnerst Du Dich an Deinen ersten Gast?
Da muss ich passen.

Es war Jacqueline Guggenbühl.
Ah, die ehemalige LdU-Landrätin und Migros-Basel-Verwaltungsrätin. Nein, eine Erinnerung an den Talk habe ich nicht mehr. Aus den Anfangszeiten erinnere ich mich vor allem noch an Polo Hofer und an Erich von Däniken. Das werde ich auch nie vergessen …

Details bitte …
Normalerweise gehe ich mit den Gästen vor dem Talk immer zu einem Nachtessen. Mit Polo Hofer hatte ich in der «Sonne» abgemacht. Er meinte dort allerdings, dass er nichts essen wolle, aber bei einer guten Flasche Roten dabei wäre. Schon nach einer Viertelstunde mussten wir dann die zweite Flasche bestellen … Ich habe fatalerweise aus Solidarität ebenfalls kein Nachtessen bestellt und wacker mitgetrunken. Mir fehlte das «Bödeli», so kam ich schon ziemlich angeheitert ins KiK. Kaum hatten wir uns dort durch die Menschenmenge gekämpft, bestellte Polo Hofer schon die nächste Flasche Rotwein und wir tranken auf dem Podium weiter … Bei diesem Talk habe ich vermutlich mehr gelacht als Fragen gestellt …

Und Erich von Däniken?
Mit ihm ging es gesitteter zu. Ich erinnere mich gut an den Talk, weil er so spannend war. Ich mochte seine Theorien schon immer. Einst im Konfirmandenunterricht hatte ich deswegen sogar Krach mit dem Pfarrer. Das ging so weit, dass ich im Unterricht mit einem Redeverbot belegt wurde.

Bei 100 Talks hat es bestimmt kuriose Episoden gegeben …
Ja, zum Beispiel wollte Dodo Hug nicht auf dem damals üblichen Barhocker Platz nehmen. So mussten wir ein Sofa beschaffen. Oder Mäni Weber war stark angetrunken, was man während des Gesprächs gut merkte. Oder zuletzt brachte Musiker Philipp Fankhauser seinen Hund mit auf die Bühne, der die ganze Zeit furzte. Es roch furchtbar …

Sind immer alle Gäste aufgetaucht? Oder musste auch einmal kurzfristig Ersatz organisiert werden?
Es ging nur selten etwas schief. Der damalige BaZ-Chefredaktor Markus Somm hatte es verpasst, in Sissach aus dem Zug zu steigen und der Talk begann erst mit Verspätung … Nicht gekommen ist «Mister Glückskette», Roland Jeanneret. Er war erkrankt und ich musste kurzfristig für Ersatz sogen. Schlimmer noch bei Stephanie Glaser: Nach ihrer Zusage ist sie verstorben … Und einmal ganz früh in den Anfangszeiten haben wir das «Nachtcafé» abgesagt, als die Swissairmaschine bei Halifax abgestürzt war. Wir hielten Unterhaltung an diesem Abend nicht für angebracht.

Welche Gäste sind Dir sonst in bester Erinnerung geblieben?
Viele. Wie gesagt Polo Hofer oder Pfarrer Sieber, der mit seinem Kreuz auf der Bühne herumfuchtelte. Eindrücklich war auch Astronom Roland Buser, der den Zuschauerinnen und Zuschauern gestenreich die schwarzen Löcher erklärte. Toll war immer, wenn die Gäste etwas zeigten oder vorspielten, ob Musiker oder Komiker, wie zum Beispiel Beat Schlatter. Zwar ist Toni Brunner kein Komiker, sein Auftritt war aber ganz grosses Kino. Das war eines der unterhaltsamsten «Nachtcafés». Schon als er hereinkam, ging im Saal die Sonne auf …

Wen wollte (fast) niemand sehen?
Den Minusrekord der bisher 170 Ausgaben hält Roger Brennwald, der Chef der Swiss Indoors. Dieses «Nachtcafé» hatte allerdings nicht ich moderiert. Alles in allem hatte es damals zwölf Leute im Saal. Auch Martin Heller, den mittlerweile verstorbenen ehemaligen künstlerische Direktor der Expo.02, wollte kaum jemand sehen.

Wer hält den Publikumsrekord?
Eindeutig Emil, vor Mike Müller. Bei Emil musste die Eingangstür schon eine Dreiviertelstunde vor Talkbeginn geschlossen werden, da man sich im Saal vor lauter Menschen kaum noch bewegen konnte. Viele mussten heimgeschickt werden, was mir heute noch leidtut. Emils Auftritt war grossartig!

Prominente aus dem Fernsehen: Ist es das, was funktioniert?
Eindeutig. Aber auch mit regionalen Gästen kann es funktionieren. Bei Karli Odermatt zum Beispiel. Als er hereinkam, standen die Leute auf und sangen: «Karli, no ne Goal …»

Und Politiker?
Bundesrätinnen und Bundesräte haben immer viel Publikum angezogen. Das war manchmal auch mit viel Aufregung verbunden. Vor dem Auftritt von Moritz Leuenberger ging eine Terrordrohung ein. Die Obere Fabrik wurde vom Keller bis unters Dach mit Sprengstoffhunden abgesucht. Vor und während der Veranstaltung hatte es viele Polizisten auf dem Gelände, sogar ein Notausgang über die Ergolz wurde konstruiert. Und alle Gäste wurden am Eingang abgetastet. Das war ein ziemliches Theater – übrigens zum Leidwesen von Leuenberger selbst. Witzig beim Besuch von Eveline Widmer-Schlumpf: Wir hatten mit einem grösseren Empfangskomitee aus Behördenvertretern beim Sissacher Gemeindehaus auf sie gewartet. Sie kam vom Bahnhof her und hat uns übersehen. Der damalige Regierungsrat Urs Wüthrich hat sie dann zufällig im Dorf angetroffen und zu uns gebracht. Es gab viele solche Episoden …

Gab es Wunschgäste, an denen Du stets erfolglos herumgepickelt hast?
Die gab es. Berhard Russi zum Beispiel. All meine Anläufe scheiterten. Das Gleiche bei Fabian Cancellara.

Und Roger Federer?
Das habe ich gar nie versucht. Dafür wäre die Obere Fabrik viel zu klein. Bei anderen Leuten hat es nicht geklappt, weil sie eine Gage verlangten. Zum Beispiel Franz Hohler, was mich überraschte. Wir haben prinzipiell keine Gagen bezahlt.

Wie schafft man es als kleine Zeitung, dass immer wieder Prominente und auch Bundesräte kommen?
Es ist vielleicht genau das Stichwort «kleine Zeitung». Der intime Rahmen und die Nähe zu den Menschen hat vielen gepasst. Auch wird honoriert, dass die «Volksstimme» eine solche Veranstaltungsreihe macht: Das gibt es bei keiner anderen kleinen Zeitung in der Schweiz. Zudem ist die Liste mit prominenten Gästen laufend länger geworden. Wenn man auf einen solchen «Palmarès» verweisen kann, hilft das bei Anfragen enorm. n Wen würdest Du nicht mehr einladen?
Mühe hatte ich mit DJ Antoine. Sein luxusbetontes Gehabe passte mir persönlich nicht. Oder Flugunternehmer Moritz Suter. Ein unterhaltsames Gespräch war kaum möglich. Auf jede Frage gab er eine viertelstündige Antwort und liess sich nicht unterbrechen. Ich hatte 15 oder 20 Fragen vorbereitet, am Schluss konnte ich 4 davon stellen …

Am nächsten Donnerstag ist Anton Mosimann eingeladen. War er schon lange als «Schlussbouquet» vorgesehen?
Er stand schon lange auf meiner Wunschliste. Im Frühling hatte ich die Gelegenheit, ihn in Montreux für ein Porträt in einem Magazin zu besuchen. Dort gibt es ein Mosimann-Museum, in dem alles gezeigt wird, was mit seinem Leben zu tun hat: Seine vielen Koch-Goldmedaillen, seine Kochrezepte, all die Erinnerungsfotos mit den Royals, aber auch alte Rallyeautos, mit denen er einst Rennen fuhr. Mosimann hat seinen Klub in London seinen Söhnen übergeben und nimmt nun in Montreux Wohnsitz. Ich fragte ihn bei meinem Besuch für das «Nachtcafé» an und er hat sofort zugesagt.

Und jetzt? Hast Du fertig «getalkt»?
Ja. Ich werde gerne weiterhin Menschen treffen und als Journalist über sie schreiben. Die «Nachtcafé»-Moderationen sollen nun aber Jüngere übernehmen.

Dass sich der Interviewte und der Interviewer duzen, ist ungewöhnlich, hier aber unumgänglich: Robert Bösiger und David Thommen haben eine lange Wegstrecke ihrer beruflichen Karrieren gemeinsam beschritten. In diese Zeit fällt auch die Gründung des «Nachtcafés».

Zur Person

tho. Robert «Bobby» Bösiger ist dieser Tage 65 Jahre alt geworden. Aufgewachsen ist er in Sissach, wo er seit vielen Jahren auch wieder lebt. Studiert hat er Nationalökonomie. Seine Berufskarriere startete der Vollblutjournalist in den frühen 1980ern bei der «Volksstimme» und war danach 1983 Mitbegründer von Radio Raurach. Später zog es ihn zur bz und weiter auf die Wirtschaftsredaktion der BaZ. Im Jahr 1993 wurde er Chefredaktor der «Volksstimme» und modernisierte das Blatt. 2002 kehrte er als Regionalchef zurück zur BaZ, wo er bis 2008 blieb. Danach wurde er Medienberater bei «bachmann medien ag» in Basel, die unter anderem einige Magazine produziert.
Bösiger hat zahlreiche Sachbücher mit meist lokalem Bezug geschrieben und amtiert seit sechs Jahren für die «Stechpalme» als Gemeinderat von Sissach. Er ist Vater von vier Kindern.
Herzlichen Dank an Robert Bösiger für die vielen unterhaltsamen Stunden im «Volksstimme»-Nachtcafé!

«Volksstimme»-Nachtcafé mit Starkoch Anton Mosimann. Donnerstag, 20. Oktober, Obere Fabrik, Sissach. Türöffnung 19 Uhr, Talkbeginn 20 Uhr.

«Es war ganz grosses Kino»

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