Christian Horisberger

Ungeachtet des erbitterten Widerstands von Gegnern der neuesten Mobilfunkgeneration treiben die Anbieter Swisscom, Sunrise und Salt den Ausbau ihrer 5G-Netze zügig voran. Nachdem sie vom Bund dafür neue Frequenzen für Abermillionen Franken ersteigert haben, soll die Investition möglichst rasch Ertrag abwerfen. Jedoch ist Geduld gefragt.

Beim Kanton Baselland stauen sich derzeit die Gesuche für den Bau neuer Mobilfunkanlagen sowie für grössere Nachrüstungen bestehender Anlagen. Einerseits sorgt die grosse Zahl von Gesuchen für Verzögerungen bei deren Abwicklung – wie immer, wenn eine neue Mobilfunkgeneration etabliert wird: Derzeit sind beim Kanton 86 Gesuche hängig, 34 befinden sich in Vorprüfung beim Lufthygieneamt. Dieses kontrolliert die Einhaltung der Strahlengrenzwerte minutiös.

52 Gesuche befinden sich gegenwärtig im Baubewilligungsverfahren. Zu den meisten davon sind Einsprachen eingegangen oder es läuft bereits ein Baurekursverfahren. Alles in allem wird im Kanton gegen mindestens jedes zweite Mobilfunkantennen-Baugesuch Einsprache erhoben. In den meisten Fällen führen die Einsprecher eine drohende gesundheitliche Schädigung der Bevölkerung durch die Strahlung als Beschwerdegrund an. Erfolg haben Einsprachen in den seltensten Fällen, bringen jedoch die Bewilligungsprozesse ins Stocken und bescheren dem Bauinspektorat und dem Lufthygieneamt einen erheblichen Mehraufwand.

Auf Anfrage hat der Baselbieter Bauinspektor Andreas Weis der «Volksstimme» Einblick in ein «typisches» Baugesuch für eine Mobilfunkanlage gewährt. Typisch, weil eine grosse Zahl Einsprachen eingegangen ist; typisch, weil die Beschwerdegründe – selbst die Formulierungen – dieselben sind wie bei vielen anderen Einsprachen. Und typisch auch, weil sämtliche Einsprachen abgewiesen worden sind.

Sieben Zentimeter dicke Akte
Wir treffen Andreas Weis und Axel Hettich, Leiter Nichtionisierende Strahlung (NIS) beim Lufthygieneamt beider Basel, in einem Sitzungszimmer der Bau- und Umweltschutzdirektion in Liestal. Vor Weis liegt eine etwas abgegriffene, dicke Akte. Wir haben nachgemessen: Der Papierstapel ist exakt 7 Zentimeter hoch. Darin befinden sich Orts-, Situations- und Baupläne, technische Spezifikationen für die Anlage auf dem Dach eines 25 Meter hohen Wohnblocks, Strahlenprognosen für die Umgebung, die Stellungnahme der Gesuchstellerin zu den Einsprachen (14 A4-Seiten), die auf 11 Seiten begründete Abweisung der Einsprachen, die Baubewilligung und natürlich die Einsprachen gegen das Baugesuch: 57 an der Zahl, die meisten mit identischem Wortlaut, alles in allem von 706 Personen unterzeichnet. «Das sind eher viele», kommentiert Weis.

Die «Volksstimme» hat sich mit dem Bauinspektorat darauf geeinigt, nicht offenzulegen um welche – bereits genehmigte – Anlage in welcher Gemeinde es sich handelt. Es soll nicht darum gehen, jemanden anzuprangern. Sondern darum, aufzuzeigen, mit welchen Argumenten gegen Mobilfunk-Baugesuche gekämpft wird und aus welchen Gründen die Baubewilligungsbehörde die meisten Beschwerden ablehnt.

In den häufigsten Fällen würden als Hauptbeschwerdepunkt gesundheitliche Bedenken angemeldet, erklärt Weis. Im vorliegenden Fall konstatieren Einsprecher, «jede weitere Antenne wäre zusätzlich stark gesundheitsgefährdend». Verwiesen wird auf «Hunderte von wissenschaftlichen Studien», die «eine Gefährdung eindrücklich bestätigen». Und weiter: «20 Jahre nach Einführung des Mobilfunks in der Schweiz ist die Anzahl jährlicher Neuerkrankungen an Krebs um 10 000 Fälle oder 35 Prozent höher als 1990.»

Derlei ist für die Arbeit des Bauinspektorats jedoch irrelevant. Angst vor einem angeblichen Gesundheitsrisiko durch die Strahlung einer Antenne sei kein ausreichender Beschwerdegrund, hält Axel Hettich fest. Die Grenzwerte für NIS lege der Bundesrat fest. Werden diese eingehalten, was seine Stelle bei jedem Baugesuch noch vor dessen Publikation im Detail rechnerisch überprüfe, sei ein Gesuch bewilligungsfähig. «Wir müssen bewilligen, wenn alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten sind», stellt Amtsleiter Weis klar.

Diktat der Wirtschaft und Profitgier
Die korrekte Adresse für das Anmelden gesundheitlicher Bedenken im Zusammenhang mit der Mobilfunktechnik wäre somit der Bund. Das Vertrauen der Antennengegner in die Politik und Verwaltung ist jedoch gering. An Podiumsveranstaltungen und auf einschlägigen Plattformen ist nicht selten vom Diktat der Wirtschaft und von Profitgier auf dem Rücken der Volksgesundheit die Rede. Axel Hettich bricht eine Lanze für «Bern»: Im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (Bafu) sichte eine beratende Expertengruppe NIS (Berenis) die neu publizierten wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema und wähle diejenigen zur detaillierten Bewertung aus, die aus ihrer Sicht für den Schutz des Menschen von Bedeutung sind oder sein könnten. Im Übrigen weist Hettich darauf hin, dass in der Schweiz im europäischen Umfeld die strengsten Grenzwerte gälten.

Als zweithäufigster Beschwerdegrund gegen ein Mobilfunkgesuch wird laut Bauinspektor Weis eine Verletzung von Zonenvorschriften oder eine Beeinträchtigung des Ortsbilds angeführt. Auch hier würden Einsprachen selten greifen. Laut Weis unterstehen Antennenmasten nicht den Vorschriften für Dachaufbauten und technische Infrastruktur. Der Ortsbildschutz komme allenfalls dann zum Tragen, wenn «neben dem Arlesheimer Dom oder der Kirche Oltingen eine freistehende Antenne aufgestellt werden soll».

Einem weiteren 5G-spezifischen Argument der Antennengegner, die Strahlung der neuen adaptiven Antennen könnten im Einsatz gar nicht gemessen und beurteilt werden, hat der technische Fortschritt den Zahn gezogen: «Heute kann man die Strahlung adaptiver 5G-Antennen sehr wohl messen», versichert Hettich. Zu den Beschwerdegründen «Wertverminderung von Liegenschaften» oder «fehlende Haftpflichtversicherung für Strahlenschäden» erklärt Weis knapp: «Das sind zivilrechtliche Forderungen und nicht Gegenstand des Baubewilligungsverfahrens.» Ins Leere läuft man beim Bauinspektorat auch mit dem Einwand, es brauche keine neuen Mobilfunk-Antennen mehr. Weis: «Einen Bedarfsnachweis muss ein Gesuchsteller nicht erbringen.»

Beschwerde-Vorlage aus dem Internet
Viele Formulierungen auf den Einsprachen ähneln und wiederholen sich, oft sind der Wortlaut und sogar die Darstellung identisch. Dies nicht nur im vorliegenden Dossier, sondern fast immer, wenn es um Mobilfunkantennen geht, sagt Hettich. Aus naheliegendem Grund: Mustereinsprachen können auf den Websites von Antennengegner-Organisationen heruntergeladen oder bestellt werden. Dennoch hüte er sich, ihm vertraute Dokumente bloss zu überfliegen, so der NIS-Fachmann, denn es könne immer sein, dass ein Einsprecher das kopierte Dokument präzisiert hat.

Die Frage, ob ihn die Systematik vieler Einsprachen und die immer gleichen Argumente, die im Baugesuchsverfahren gar nicht relevant sind, nicht mürbe machen, verneint Hettich. Die Aufgabe absorbiere einiges an Ressourcen, sagt er, doch die einzelnen Einsprecherinnen und Einsprecher könnten die Rechtslage nicht kennen und jedem stehe eine begründende Antwort zu. Diese wird nach der Prüfung durch die Rechtsabteilung des Bauinspektorats den Einsprechenden zugesandt oder bei Sammeleinsprachen ab zehn Personen im kantonalen Amtsblatt publiziert. Eine Frage der Ökonomie: Das Amt kann sich damit Hunderte von persönlich adressierten Briefen sparen.

Auch so ist die Baubewilligungsbehörde stark gefordert: Im Corona-Jahr hagelt es mehr Einsprachen gegen jegliche Baugesuche als üblich, sagt Vorsteher Andreas Weis. Bis Ende Juli seien bereits 150 beim Bauinspektorat eingegangen, das seien so viele, wie in einem durchschnittlichen Jahr. Erfahrungsgemäss wird rund ein Drittel der Einsprachen an die Baurekurskommission weitergezogen. Vor Kantonsgericht landet noch eine Handvoll. «Antennen» sind bei den Weiterzügen gemäss Weis weder über- noch unterproportional vertreten.

In unserem typischen Fall wurde auf einen Weiterzug vor die Baurekurskommission verzichtet. Das Ende 2018 gestellte Baugesuch ist diesen Frühling erteilt worden, die Antenne ist bisher nicht gebaut worden.

Podiumsgespräch in Gelterkinden

vs. Die Grünen Region Gelterkinden veranstalten am 20. Oktober ein Podiumsgespräch unter dem Titel «5G – Highspeed fürs Oberbaselbiet?». Podiumsteilnehmende sind Hansueli Albonico (Dr. med., Hausarzt, Mitglied Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz Schweiz), Axel Hettich (Lufthygieneamt beider Basel, Abteilungsleiter Nichtionisierende Strahlung), Marionna Schlatter (Nationalrätin Grüne ZH, Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen) und Rolf Ziebold (Mediensprecher, Verantwortlicher Öffentlichkeitsarbeit 5G, Sunrise Communications AG). Moderation: Sebastian Schanzer, Redaktor «Volksstimme».

Dienstag, 20. Oktober, 19 Uhr, Gemeindesaal Gelterkinden.

706 Unterschriften gegen eine Antenne

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