Scientology gehts an den Kragen

  10.10.2019 Baselbiet, Bezirk Sissach

Die beiden Oberbaselbieter Yolanda Sandoval und Beat Künzi wollen verhindern, dass Scientology zu neuen Mitgliedern kommt. Dazu reisen sie zu Standaktionen der Bewegung und warnen Passanten.

Michèle Degen

Yolanda Sandoval und Beat Künzi machen viele Wochenend-Ausflüge in Schweizer Städte. Die beiden Oberbaselbieter gehen in Luzern, St. Gallen, Winterthur oder Olten aber nicht Kleider shoppen, Sehenswürdigkeiten besichtigen oder Kaffee trinken. Zumindest nicht in erster Linie. Sie stellen sich auf öffentliche Plätze. Immer dort, wo in der Nähe ein Stand steht, der zum Beispiel mit «Dianetik» angeschrieben ist. Ausgerüstet mit A4-grossen, laminierten Schildern postieren sich Sandoval und Künzi in der Nähe dieser Stände und machen die Passanten darauf aufmerksam: «Achtung, Dianetik = Scientology».

Die beiden haben es sich zur Aufgabe gemacht, vor der umstrittenen religiösen Bewegung, die auf der ganzen Welt tätig ist und in manchen Ländern als Sekte gilt, zu warnen. Wo immer die Glaubensgemeinschaft – ob unter dem Namen Scientology oder einer anderen Frontorganisation – ihre Informationsstände aufschlägt, Bücher ihres Gründers L. Ron Hubbard verkauft und Passanten anspricht, um Neumitglieder zu akquirieren, ist das Ehepaar vor Ort und will die Fussgänger aufklären und davon abhalten, sich einwickeln zu lassen. Dafür haben sie einerseits ihre Schilder, andererseits sprechen sie die Passanten direkt an. Ob ihnen bewusst sei, mit wem sie soeben ins Gespräch gekommen seien und was hinter dem Namen Dianetik stecke.

Eine von zwei Organisationen
«Wir wollen freundlich und auf sympathische Art vor dieser gefährlichen Sekte warnen», sagt Sandoval. Sie wurde durch ihre Tätigkeit als Naturheilpraktikerin auf die Organisation aufmerksam. «Ich habe bemerkt, dass es Nahrungsergänzungsmittel gibt, die mit Scientology in Verbindung stehen könnten», sagt sie. So auf die Gemeinschaft aufmerksam geworden, wollte sie etwas gegen sie unternehmen. Mitte Februar haben sie sich selbstständig organisiert und seit dem 1. August sind sie nun beide Co-Präsidenten des mitgliederlosen Vereins Freie Anti-SC-Aktivisten und damit der zweiten Bewegung in der Schweiz, die aktiv gegen Scientology vorgeht. Den Verein haben sie gegründet, um Spendengelder entgegennehmen zu können. Um ihre Unterstützer zu schützen, nehmen sie jedoch keine Mitglieder auf. Denn ihre ehrenamtlichen Einsätze seien nicht ganz ohne, sagt Künzi und erklärt die Vorgehensweise des Paars, das seinen Wohnort aus Sicherheitsgründen nicht in der Presse veröffentlichen möchte.

Sandoval und Künzi versuchen, schweizweit herauszufinden, wann Scientology oder eine andere Organisation, hinter der Scientology steckt, eine Standaktion geplant hat. Zu diesen sogenannten Frontorganisationen gehören zum Beispiel «Psychiatrie zerstört Leben» oder «Sag Nein zu Drogen – Sag Ja zum Leben». Je nach Stadt kann die Bewegung mehrere Dutzend Mal im Jahr mit einem Stand vertreten sein.

In Liestal dürfen Organisationen jedoch nur viermal pro Jahr mit einem Stand auf der Strasse Werbung machen. An diesen Standaktionen möchte das Paar dann, wenn möglich mit weiteren Aktivisten zur Unterstützung, vor Ort sein und «informieren, sensibilisieren und warnen».

Das sei bisher sehr erfolgreich verlaufen, sagt Künzi. Oft seien die Leute im ersten Moment etwas erschrocken oder hätten gar Angst, etwas falsch gemacht zu haben, wenn er und Sandoval auf sie zugehen. «Aber die meisten zeigen sich danach sehr dankbar.» Auch sonst erhielten sie häufig Zuspruch von Passanten. «Wir freuen uns über jede Person, die wir so aufklären können», sagt Sandoval.

«Ich hatte ein mulmiges Gefühl»
Besonderen Wert legt das Paar darauf, dass es immer freundlich, respektvoll und gut gelaunt bleibt. Um zu zeigen, dass sie tatsächlich friedlich gegen Scientology vorgehen, und um sich selbst zu schützen, melden sie sich jeweils an, wenn sie in einer Stadt unterwegs sind, und versuchen, stets in Kontakt mit der örtlichen Polizei zu stehen. «Jeder Kritiker gilt für Scientologen als Gefahr», so Sandoval. «Also auch wir.» Von Anfang an hätten sie sich daher darauf gefasst gemacht, dass ihnen die Mitglieder der Organisation zu nahe kommen könnten. Schon bald habe die Organisation ihnen klargemacht, dass sie unter Beobachtung stünden und man wisse, wo das Paar wohne und wo es arbeite.

Am vergangenen Samstag sei es nun erstmals nicht so ruhig zugegangen, erzählt Sandoval. Scientologen hätten sie auf Schritt und Tritt verfolgt, gefilmt und auch angesprochen. Wie nahe sie den Aktivisten dabei kommen, zeigen Videoaufnahmen, welche die beiden ihrerseits gemacht haben. Auch eine Drohung sei geäussert worden. «Obwohl ich wusste, dass das passieren würde, ist es doch etwas anderes, es zu erleben», sagt Sandoval, die irgendwann die Polizei rief. «Ich hatte ein mulmiges Gefühl.» Das Paar schliesst nicht aus, dass die Organisation sie irgendwann auch zu Hause verfolgen wird, um sie einzuschüchtern. «Aber mit so etwas müssen wir rechnen. Das gehört eben zu deren Taktik», sagt Sandoval. Von ihrer Mission würden sie sich deshalb aber nicht abbringen lassen.


Scientology

md. Scientology ist eine religiöse Bewegung, die in den 1950er-Jahren vom USamerikanischen Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard gegründet wurde. Heute gilt David Miscavige als Leiter der Organisation. Grundlage der Bewegung ist Hubbards Buch «Dianetics». Scientology soll dem Menschen den Zustand geistiger Freiheit vermitteln. Geschehen soll dies durch meist kostspielige Kurse. In Frankreich und Deutschland gilt die Organisation als Sekte. Unter anderem in der Schweiz, Spanien oder Schweden ist sie als Kirche anerkannt.
Gemäss relinfo.ch rechnen Fachleute weltweit mit etwa 100 000 aktiven Mitgliedern. In der Schweiz sind es laut Scientology 5000 bis 6000. Ehemalige und aussenstehende Fachleute sind jedoch der Ansicht, dass es sich zurzeit lediglich um 700 bis 800 aktive Scientologen handelt. Derzeit existieren fünf Scientology-Zentren in Basel, Bern, Genf, Lausanne und Zürich.

 


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